Rätsel um Sterbedatum gelöst

Veröffentlichungsdatum05.11.2024Lesedauer4 Minuten
eine Steinmauer mit einem Schild darauf und Blumen davor

Heldengrab Jagenbach

Am 8. Mai 1945 endete der Zweite Weltkrieg in Europa mit dem Inkrafttreten der bedingungslosen Kapitulation des Deutschen Reiches. Erstaunlicher Weise trägt das Heldengrab am Friedhof von Jagenbach die Aufschrift: „Hier ruhen die zu Kriegsende am 16.5.1945 im Ortsgebiet Jagenbach gefallenen Soldaten.“ Wie kommt es zu dieser zeitlichen Diskrepanz von 10 Tagen zwischen dem Waffenstillstand und dem Tod der neun Männer?

Die Erklärung dafür ist im Stadtarchiv Zwettl zu finden, genauer gesagt im Karton 358. Darin werden Briefe von Frauen aufbewahrt, die bei der Gemeinde Jagenbach nach der Todesart ihrer Brüder, Ehemänner und Verlobten fragten. Beispielsweise erhielt Frau Brinckmeier aus Wolfenbüttel in Deutschland im April des Jahres 1956 den Nachlass ihres Bruders, der bis dahin am Bezirksgericht Zwettl verwahrt worden war. Erst mit der Übermittlung der wenigen Habseligkeiten ihres Bruders erhielt sie Gewissheit, dass ihr Bruder nicht in russische Kriegsgefangenschaft geraten, sondern in Jagenbach gefallen und bestattet worden war. Sie hatte vermutetet, dass er sich von der Tschechoslowakei bis nach Österreich durchgeschlagen hatte in der Hoffnung, seine Heimat wieder zu erreichen. Frau Brinckmeier bat in besagtem Brief den Bürgermeister von Jagenbach, ob sie nähere Umstände um den Tod ihres Bruders erfahren könnte.

Anderen Frauen ging es ähnlich. Es finden sich mehrere Schreiben aus den 1950er Jahren, in denen Damen nachfragen, ob in Jagenbach noch Personen lebten, die die letzte Zeit mit ihren Männern verbracht hatten und davon berichten könnten. Leider sind keine Antwortschreiben seitens der Gemeinde Jagenbach erhalten geblieben. Nur ein Schreiben des Bezirksgerichts Zwettl vom 12. Jänner 1956 an das Gemeindeamt von Jagenbach gibt Auskunft, dass ein Bericht des seinerzeitigen Bürgermeisters von Jagenbach an die Verlobte des Feldapothekers Paul Pfister geschickt worden war. Der Bürgermeister wusste zu berichten, dass die Soldaten nach dem Zusammenbruch des Deutschen Reiches in einer Kolonne deutscher Kriegsgefangener von Weitra kommend durch Jagenbach eskortiert worden waren. In jenem Dorf schieden einige Gefangene aus der Kolonne aus, um sich Trinkwasser zu besorgen. Manche entfernten sich schon in den Feldern von der Kolonne, um die Notdurft zu verrichten, worauf hin sie von einem russischen Posten erschossen worden waren.

Ein Schild an einer Backsteinmauer

Der damalige Postenkommandant der Gendarmerie in Groß Gerungs hielt in kurzen Protokollen die Daten und „Nachlaßsachen“ der Soldaten fest. Meist waren es nur ein paar Habseligkeiten: ein wenig Bargeld, Fotos und Briefe, fast jeder trug einen Taschenkamm bei sich. Über einige „Nachlaßsachen“ von Oswald Weltz lässt sich erahnen, wo der Mann im Einsatz war bzw. durch welche Länder ihn sein Heimweg führte. Er hatte 250 Russische Rubel, 66 Reichsmark und 40 Tschechische Kronen bei sich.

Außerdem sind einige Schreiben erhalten, in denen die Gemeinde Jagenbach aufgefordert wird, die Kriegsgräber zu pflegen. Am 17. Mai 1956 wurde am Gemeindefriedhof Jagenbach Nachschau gehalten und der würdige Zustand aller Kriegsgräber festgestellt. „Die 11 ortsfremden deutschen Wehrmachtsangehörigen ruhen in einem Kameradengrab in der linken Friedhofhecke“, hielt der Friedhofwärter Josef Hutterer in der Verhandlungsschrift fest. Dieses Grab trug anscheinend anfangs keine Inschrift und war lediglich den „unbekannten Soldaten“ gewidmet.

Am 11. Oktober 1965 schließlich ging ein Schreiben des Landes an die Bezirkshauptmannschaft Zwettl, welches besagte, dass „Angehörige von Bestatteten das gemeinsame Kriegsgrab 1939 – 1945 im Gemeindefriedhof Jagenbach in einem gärtnerisch ungepflegten Zustand angetroffen“ hätten. Die Gemeinde bzw. Friedhofsverwaltung Jagenbach sollte „ehebaldigst dahingehende einwirken, das Kriegsgrab wieder in einen ordnungsgemässen Zustand – besonders jetzt vor dem kommenden Allerseelentage – versetzen zu lassen.“ Über die Durchführung sollte bis spätestens 20. 11. 1965 Bericht erstattet werden. Ende Oktober 1965 schreibt der Bürgermeister an die Bezirkshauptmannschaft Zwettl, dass Jedes Jahr zu Allerheiligen das Kriegsgrab besonders hergerichtet und vom Ortsverband des Österreichischen Kameradschaftsbundes ein Kranz niedergelegt wurde. Somit wäre die Beschwerde der Landesregierung unbegründet.

Im Februar 1966 ging ein Schreiben des der Bezirkssuchreferent des Roten Kreuzes beim Bürgermeister von Jagenbach ein. Der Absender, ein Herr Fuchs, listete darin die Namen der in Jagenbach gefallenen Soldaten auf mit der Bitte, „die auf dem Ortsfriedhof Jagenbach befindliche Grabstätte mit einem Namensschild zu versehen“. Der damalige Volksschuldirektor von Jagenbach, Wilhelm Engelmayer, dürfte sich in dieser Sache besonders eingesetzt haben. Vom Dezember desselben Jahres liegt nämlich ein weiteres Schreiben des Herrn Fuchs auf, der sich ausdrücklich bei Willi Engelmayer bedankte und die Kontaktdaten der Soldatenangehörigen übermittelte. Der Lehrer und Künstler plante und gestaltete dieses Heldengrab sowie das Kriegerdenkmal in Jagenbach. Im Stadtarchiv Zwettl liegen Rechnungen aus dem September 1966 auf, die belegen, dass das Grab damals umfassend saniert, neugestaltet und mit der Tafel ausgestattet worden war.